Jüdische Geschichte
in Guntersblum

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Unser Mitglied Herr Pfr. i. R. Dieter Michaelis hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der jüdischen Geschichte Guntersblums beschäftigt und zu diesem Thema auch eine sehr informative Dokumentation zusammengestellt. Aus dieser Arbeit und anderen Quellen sind folgende Informationen (Bild- und Textbeiträge) entnommen. Für weitere Informationen sei auf die Literaturliste verwiesen.

Nach Saul Lilienthal sind in Guntersblum Juden nachweisbar seit dem Jahre 1555. Aus dem Jahre 1725 stammt die älteste bekannte Archivalie mit einer Erwähnung jüdischer Bürger. Weitere Angaben sind aus folgender Tabelle zu entnehmen:

1555 6 Familien
1725 7 Familien
1726 8 Familien
1734 6 Familien
1739 11 Familien
1804 85 Personen
1816 99 Personen
1824 124 Personen
1825 130 Personen
1828 134 Personen
1831 155 Personen
1834 169 Personen
1840 167 Personen
1861 138 Personen
1900 80 Personen
1931 58 Personen
1933 51 Personen

Mitglieder der jüdischen Gemeinde Guntersblums
von 1555 bis 1933

Der früheste bisher aufgefundene Hinweis auf einen Guntersblumer Rabbiner befindet sich in einem Kanzleiprotokoll vom 25.10.1737. Ein Protokoll vom 30.6.1739 nennt den "Judenrebbe Mardochai". Am 23.2.1742 kam "Rebbe Nahum Benjamin" in einer Streitsache vor und am 2.3.1742 "Jud Rebbe Nahum Wolff".

Die Synagoge in Guntersblum

Wo ein Rabbiner lebt, gibt es auch eine Synagoge: Das Gebäude der Synagoge steht heute noch: Bleichstraße 12, versteckt hinter dem Haus Nr. 10 integriert in den Gebäudebestand des ehemaligen Domhofs, Bleichstraße 14. Aus der Zeit der Nutzung als Synagoge sind die Außenmauern erhalten und das Eingangstor mit der Inschrift:

Zu deutsch: "Das ist das Tor zu Gott. Gerechte werden dort einziehen."

Ziemlich sicher ist, dass die jüdische Gemeinde hier in Guntersblum in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre Synagoge einrichtete. Urkundlich wird ein israelitisches "Bethaus", eine "Judenschule" oder auch eine "Synagoge" erwähnt. Da die Gemeinde ihre Schule schon vor 1839 unmittelbar neben das uns bekannte Synagogengebäude gestellt hat, ist anzunehmen, dass die Synagoge auch schon vor 1839 hier stand. Eine grafische Rekonstruktion der Außenansicht der Synagoge ist hier zu sehen. Im Innenraum wird es höchstwahrscheinlich so oder ähnlich ausgesehen haben.

Die jüdische Schule in Guntersblum

Dem gründlich renovierten und verputzten Wohnhaus Viehgasse 1 ist weder von außen noch von innen seine bewegte Geschichte anzusehen. Eine Guntersblumer Gebäudeliste, erstellt um 1800, zählt eine "Juden Schule" auf, bezeichnet nach dem damaligen Sprachgebrauch aber die Synagoge. Das Regierungsblatt vermeldete am 15.2.1826, dass die Juden im Großherzogtum Hessen beschlossen haben, ihre Kinder in christliche Schulen zu schicken. Demnach hat es wahrscheinlich 1826 auch hier noch keine jüdische Schule gegeben.

Der Kreisrat verfügte in einem Schreiben vom 22.2.1840, daß "für die nun ins Leben getretene israelitische Volksschule" ein Schulvorstand zu bilden sei. Einem Brief vom Vorstand der israelitischen Gemeinde an den Ortsvorstand vom 16.1.1844 ist zu entnehmen, daß die Schule für 1700 bis 1800 Gulden unter "großen Opfern" aus Mitteln der israelitischen Gemeinde errichtet wurde. Nach einer Mitteilung vom Kreisrat an den Bürgermeister vom 1.10.1842 war die Schule auch gleichzeitig "Badehaus".

Das Judenbad

Es war - und ist noch heute - üblich, ja Vorschrift, dass jüdische Gemeinden in unmittelbarer Nähe ihrer Synagoge eine Miqwe, ein kultisches Reinigungsbad, unterhalten. In Guntersblum befand es sich unmittelbar vor der östlichen Mauer der Synagoge. Dort ist ein heute noch zugänglicher Keller. Durch einen Kellerhals stieg man mehrere Meter tief hinab in einen Raum, den die Bewohner der ehemaligen Judenschule noch in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts als kühlen Vorratskeller nutzten. Es ist anzunehmen, dass die untersten Stufen der Kellertreppe bei ihrem Bau unter dem Grundwasserspiegel lagen, so dass hier die Miqwe war.

Diese Skizze zeigt, wie die ehemalige Synagoge, die Judenschule und das Judenbad (Miqwe) angeordnet waren.

Der Judenfriedhof

Die Geschichte unseres jüdischen Friedhofs kann bis zum Jahre 1829 zurückverfolgt werden. In diesem Jahr beschwerte sich der Vorstand der israelitischen Gemeinde darüber, dass man den Steigweg (heute Eimsheimer Straße) gegen seinen Einspruch zur Fahrstraße ausgebaut hatte. Bei der Verbreiterung war rücksichtslos der angrenzende Friedhof abgegraben worden, so dass Leichen freigelegt wurden. Damit der Friedhof nicht zur Straße hin nachrutschte, baten die Besitzer um den Bau einer Mauer durch die Ortsgemeinde. Die Bitte wurde schroff abgelehnt, so dass die jüdische Gemeinde die Mauer selbst bauen lassen mußte.

Der älteste heute noch datierbare Grabstein stammt vom "April 5609 nach Erschaffung der Welt", also aus dem Jahre 1849. Es ist der Stein für den Vorsteher der israelitischen Gemeinde Joseph Salm und seiner Ehefrau Jeanette.

Wer den Friedhof sucht, findet ihn am Ortsausgang in Richtung Eimsheim, auf der linken Straßenseite, wohl verborgen hinter einer hohen Mauer. Die Ortsgemeinde Guntersblum weiß sich für ihn verantwortlich und pflegt ihn regelmäßig.

Holocaust

Die jüdische Gemeinde in Guntersblum erlitt grundsätzlich dasselbe Schicksal wie alle jüdischen Gemeinden in Deutschland und in den von der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten. Das Furchtbare passierte wirklich in Guntersblum und gleichzeitig im ganzen Land, systematisch gesteuert und dirigiert. Es passiert noch heute an vielen Orten dieser Erde. Immer wieder lesen und hören wir von "ethnischen Säuberungen", organisierter Unterdrückung, Mord an wehrlosen Minderheiten, an "unbedeuteten Randgruppen". Davor dürfen wir unsere Augen nicht verschließen, diese Verbrechen auch nicht als unabänderliche Selbstverständlichkeiten hinnehmen, auch wenn sie in fernen Ländern geschehen.

Im Jahre 1933 zählte die jüdische Gemeinde in Guntersblum mindestens 50 Mitglieder, 1945 nur noch eine Frau - die jüdische Gemeinde Guntersblum war ausgelöscht. Ermordet. Emigriert.

Eine Gedenktafel am Haus der ehemaligen Guntersblumer jüdischen Schule in der Viehgasse möchte im Sinne von "Zeugnis" und "Erinnerung" ein Stück Guntersblumer Geschichte wach halten und der ermordeten jüdischen Ortsbürger gedenken. Am 26. Oktober 1997 wurde die Bronzetafel im Rahmen einer Gedenkfeier in Guntersblum, Viehgasse 1, enthüllt. Hier die damalige Anprache des Herrn Pfr. i.R. Dieter Michaelis.